2018/2019 Erinnerung und Aufbruch

Wieder mal ein Jahreswechsel. In der Summierung eigener Lebensjahre verschieben sich die Perspektiven: Zeiträume verdichten sich, die Abstände der Jahreswechsel scheinen immer kürzer. Eigene Erinnerungen und geschichtliches Wissen leisten solchem Perspektivverschub Vorschub. Weiterlesen

Deutschlands Schicksalstag?

Und wieder 9. November! Und wieder deutscher Gedenktag. „Deutschlands Schicksalstag“ heißt es in den diversen Medien, als haben an den 9. Novembern verschiedener Jahre germanische Schicksalsgöttinen mit dem deutschen Volk gespielt. Als hätten sie Eingriffe ins Leben dieses Volkes vollzogen. Eingriffe, derer sich niemand erwehren konnte und die unausweichlich waren – Weichenstellungen der Geschichte, denen ein Volk ausgeliefert ist. Schicksal eben!

Waren aber die das deutsche Volk prägenden historischen Ereignisse an so unterschiedlichen 9. Novembern unausweichliches Schicksal? Haben hier nicht Menschen gezielt politische Macht manifestiert – mal diktatorisch, mal demokratisch?

Wessen wird an diesem Tag gedacht? Dazu lohnt ein tieferer Blick in die Geschichte. Ein Blick auf historische Ereignisse, die mit diesem Datum verbunden sind: Weiterlesen

Freistaat entthront

„l’état c’est moi“ soll der absolutistische Sonnenkönig Ludwig XIV. von Frankreich (1638-1715) einst gerufen haben. Dieses „der Staat bin ich“ haben die freistaatlichen Bayernregenten als „Mir san mir“ in die Welt getragen. Traditionelle absolute Mehrheiten bei meist paralysierter Opposition lieferten den CSU-Regenten immer wieder Möglichkeiten, selbst die Bundespolitik in krachlederne Geiselhaft zu nehmen.

Interne Machtkämpfe wurden in bierzeltseligen Brünften ausgetragen, das Volk hielt seiner CSU die Treue. Als Markus Söder im Frühjahr 2018 den politisch senilen Horst Seehofer vom bayrischen Thron stieß und ins Berliner Exil schickte, übersah er Fatales: Nicht nur der Regent war überfällig, der Thron selber war morsch und brüchig. Weiterlesen

Resignieren ist keine Option

Das war kein schöner Sommer. Auch wenn ich das Wetter genoss und mich Mitte Oktober noch der Sonnentage erfreue. Die stets deutlicheren Hinweise auf den sich vollziehenden Klimawandel sehe ich als Herausforderung und Gestaltungsaufgabe. Was mich an den Rand der Resignation brachte, ist die politische Großwetterlage.  Sie bringt unsere ohnehin nur embryonal entwickelte demokratische Kultur in Überlebensnot. Wahnwitz allerorten und die mediale Kakophonie lässt das Bild eines Irrenhauses entstehen – einer Anstalt, in der die Kranken Direktorium und Personal stellen. Weiterlesen

Zur Kompetenz der Vielfalt

„Wo Vielfalt stört, bleibt Einfalt übrig“, schreibt Erich Visotschnig in seinem neuen Buch „Nicht über unsere Köpfe“ (2018, oekom, München). Seit über 30 Jahren plädiert er dafür, die Kompetenz- und Ideenvielfalt der von Entscheidungen betroffenen Bürger in die Entscheidungsprozesse einzubeziehen.

Der Grazer Systemanalytiker entwickelte gemeinsam mit seinem Kollegen Siegfried Schrotta das Systemische Konsensieren (SK-Prinzip). Während die von ihnen entwickelte Methode in Mediationen und Konfliktberatungen erfolgreich Anwendung findet, zeigen Politiker und Parteien vor allem Desinteresse. Dabei sind gerade sie es, die es mit den schwierigsten Entscheidungsprozessen zu tun haben. Ihre Voten binden als gesetzliche Normen die repräsentierten Bürger und ihr Gemeinwesen. Ausgerechnet sie halten daran fest, eigene Lösungskonzepte mit Macht gegen anderslautende Lösungsvarianten durchzusetzen.

Die Bürger haben die neuen Regeln zu akzeptieren und ihnen zu folgen, egal, ob ihnen die neue Vorschrift passt.  Derartige Macht zu erringen und auszuüben, gehört zu den Grundbestrebungen politischer Parteien.

Doch immer schwerer fällt ihnen der Umgang mit bürgerlichem Unwillen. Wohin mit deren Unmut bei Nichtgefallen? Wohin mit deren Unmut, nicht gefragt und berücksichtigt worden zu sein? Der Verweis auf Korrekturen an der Wahlurne verpufft, Wahlversprechen sind die ersten Opfer auf dem Altar notwendiger Koalitionen. Unmut wächst sich aus zum Widerstand. Bleibt dieser innerhalb des Systems unbeachtet, wendet er sich gegen das System. Weiterlesen

Politische Kultur schützen

„Das sollten Sie unbedingt in Berlin vorstellen!“, strahlte der kommunale Parteivorsitzende. Er hatte mich gebeten, als Moderator an einem Bürger-Beteiligungs-Projekt mitzuwirken. Dazu hatte ich ihm das von mir bevorzugte Systemische Konsensieren (SK-Prinzip) skizziert. Damit ist es möglich, vielfältige, auch widersprechende Lösungskonzepte aus unterschiedlichen Interessen zu einer breit akzeptierten Entscheidungs-Empfehlung zu führen. Transparent, ohne Machtgebaren und politische Erpressung finden die Teilnehmer den Weg zu nachhaltig tragender Entscheidung.

Mehrfach habe ich in meinen Büchern wie auch hier im Blog für das Systemische Konsensieren geworben. In Seminaren und Klausurtagungen nehmen die Teilnehmer erstaunt wahr, wie einfach und zeitsparend eine Ideenvielfalt strukturiert und zur Entscheidung geführt werden kann.

So völlig anders als die in diesen Tagen inszenierte bayrische Schmierenkomödie der Unions-Parteien, welches die Republik erschüttert und nachhaltig beschädigt.

CSU-Erpressung beschädigt die Republik

Nun hat sich der Pulverrauch des Asylstreits gelichtet. Die verfeindeten Unions-Schwestern verbuchen jeweils für sich den Sieg im Kompromiss. Die Kanzlerin kann weitermerkeln, Seehofer wird als Bundesinnenminister seine Heimatschutz-Phantasien weitertreiben. Die Erpressung der großen durch die kleine Schwester wurde geschickt auf die lädierte SPD umgeleitet. Jetzt soll sie die Kompromisskröte schlucken, damit die GroKo nicht zerfällt.

Da kann man sich also richtig aufregen – oder nüchtern die dahinter stehende Systematik und Problematik betrachten. Weiterlesen

Vom Unmut zur Demokratie – Sie wollen gefragt werden (Teil 3/3)

Hochbetagt soll Benjamin Franklin (1706-1790), Präsident Pennsylvanias und einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten, von einer Passantin angesprochen worden sein: „Mr. President, was haben Sie uns hinterlassen?“ Franklin: „Eine Republik, wenn Sie sie behalten können!“

Eine Republik hatte Franklin mitbegründet, also eine Staatsform, in der Macht und Herrschaft nicht an Königs- oder Adelsgeschlechter gebunden ist, sondern die Vergabe von Macht und Herrschaft Sache des Volkes (res publica) ist. Demokratie, also Beteiligung des Volkes an Regierungsgeschäften, kam Franklin nicht in den Sinn. In regelmäßigen, freien und geheimen Wahlen sollte das Volk die Eliten bestätigen, die im Namen des Volkes regieren – also jene, die die Regelungen entscheiden, welche das Gemeinwesen binden.

Die neuzeitliche Republik war für das 18. Jahrhundert eine epochale Leistung. Auch das vom Freiherrn Karl von Drais erfundene Laufrad wurde für die Mobilität der damaligen Gesellschaft epochal. Wer jedoch würde heutzuDraistage mit solchem Laufrad an einer Tour de France teilnehmen? (Vielleicht noch der nach Selbsteinschätzung größte US-Präsident forever. Wahrscheinlich würden sämtliche Konkurrenten durch US-Sanktionen ausgeschlossen – America first!) Heute taugt das Laufrad nur noch als Lernspielzeug für Kinder. Seine Erfindung aber öffnete einst das Tor in eine ressourcenschonende Mobilität. Die fahrrad-freundliche Stadt Bocholt kann davon ihr eigenes, gutes Lied singen. Weiterlesen

Bürgerbeteiligung als Zwickmühle – Sie wollen gefragt werden (Teil 2/3)

Wenn man mich mal fragen würde…“sang der niederländische Liedermacher Robert Long 1979. Humorig vertonte er die Frustration der sich als ungefragte Untertanen erlebenden Bürger. Weit weniger humorig sind die ungezählten Beiträge in den modernen virtuellen Netzen, mit denen Bürger heute ihrem Frust als ungefragte Untertanen freien Lauf lassen. Wenn wütende Bürger auch knapp 30 Jahre nach der „deutschen Revolution“ skandieren „Wir sind das Volk!“, erheben sie den Anspruch „Nicht über unsere Köpfe!“. Sie wollen gefragt sein, wenn es um politische Entscheidungen geht, die ihr Leben und ihren Alltag beeinflussen.

Man muss kein Wutbürger, nicht einmal ein zorniger Bürger sein, um das „Nicht über unsere Köpfe!“ als berechtigt anzuerkennen. Da reicht es, Demokrat zu sein. Aber auch Demokraten schwillt schon mal der Kamm, wenn iBocholthr Anspruch auf Mitsprache abgebügelt wird mit Verweisen auf die Dynaxität (Komplexität potenziert mit Dynamik) politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Sachverhalte. Bei derartigen Verweisen klingt die Arroganz durch, das Volk sei dumm. Weiterlesen

Eine teure Sanierung – Sie wollen gefragt werden (Teil 1/3)

Deutlich haben Bocholter Bürger den Anspruch auf Partizipation erhoben. Rat und Verwaltung versprachen, dem Raum zu geben. Nun laden sie die Bürger ein, Ideen einzureichen, was mit dem maroden, gleichwohl denkmalgeschützten Rathaus geschehen soll. Per Whats-App und Zeitungsmeldungen rufen sie nach der „Weisheit der Vielen“, um für die ca. 37-45.000.000 € teure Sanierung ein überzeugendes Nutzungskonzept zu finden. Typische Grundgedanken hinter solchen Aktionen: „Viele Köpfe wissen mehr.“ Und: „Eine große und diverse Gruppe von Menschen kommt für Probleme auf Lösungen, an die man zuerst gar nicht gedacht hat.“

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Bürger suchen Gehör

„Veraltete Technik, hohe Energiekosten, niedrige Arbeitsbedingungen: das Bocholter Rathaus mit Kulturzentrum (Stadttheater) muss saniert werden. Ein Abriss ist ausgeschlossen, da das Rathaus ein Denkmal ist“, beschreibt die Stadt Bocholt den Bürgern das lösungsheischende Problem. Weiterlesen

Vital statt virtuell

Wieder ist Freitag vor Pfingsten. Wieder verspricht es, ein sonniger Tag zu werden. „Freitag vor Pfingsten“ – seit 2000 hat sich dieser Tag in mein Leben eingebrannt. Weniger das damalige Datum, 9. Juni 2000, als die lebendige Erfahrung des Freitag vor Pfingsten.

Es war dieser Tag im Jahr 2000, der wie ein psychisches Erdbeben mein Leben in neue Bahnen warf.

Plötzlich und unerwartet starb meine Frau Helga an den Folgen extremer Bild91Fahrlässigkeit des behandelnden Internisten. Wie das Kölner Landgericht nach jahrelangem Prozess zu diesem Urteil kam, habe ich im Protokoll eines vermeidbaren Todes dokumentiert.

Freitag vor Pfingsten – der Schock ist längst abgeklungen, Schmerz und Trauer vergangen. Doch es blieb mehr als nur die Erinnerung an 30 Jahren Gemeinsamkeit. Auch 18 Jahre nach ihrem Tod hat Helga eine Präsenz in meinem Leben, die weit über die Erinnerung an andere verstorbene Familienmitglieder hinausgeht. In luziden Träumen taucht ihr Bild auf, mal unterstützend lächelnd, mal mir den Vogel zeigend zu meinen aktuellen Ideen und Plänen. Eine geistige Verbindung, von der Quantentheoretiker mir sagen, ihr Energiefeld sei ja nicht gestorben.

Wie immer verschmelzen Erinnerungen mit gegenwärtigen Eindrücken. So verändert sich mein Blick auf aktuelle Fragen. Heute verbindet sich die Erinnerung an Helga mit dem Phänomen „soziale Netzwerke“. Schon lange stört mich das Attribut „sozial“ in Verbindung mit Facebook, Google+ und Co. Sie sind digitale und virtuelle Netze, deren Aufkommen und inzwischen erreichte globale Macht Helga nicht mehr erlebt hat. Weiterlesen