Vom Unmut zur Demokratie – Sie wollen gefragt werden (Teil 3/3)

Hochbetagt soll Benjamin Franklin (1706-1790), Präsident Pennsylvanias und einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten, von einer Passantin angesprochen worden sein: „Mr. President, was haben Sie uns hinterlassen?“ Franklin: „Eine Republik, wenn Sie sie behalten können!“

Eine Republik hatte Franklin mitbegründet, also eine Staatsform, in der Macht und Herrschaft nicht an Königs- oder Adelsgeschlechter gebunden ist, sondern die Vergabe von Macht und Herrschaft Sache des Volkes (res publica) ist. Demokratie, also Beteiligung des Volkes an Regierungsgeschäften, kam Franklin nicht in den Sinn. In regelmäßigen, freien und geheimen Wahlen sollte das Volk die Eliten bestätigen, die im Namen des Volkes regieren – also jene, die die Regelungen entscheiden, welche das Gemeinwesen binden.

Die neuzeitliche Republik war für das 18. Jahrhundert eine epochale Leistung. Auch das vom Freiherrn Karl von Drais erfundene Laufrad wurde für die Mobilität der damaligen Gesellschaft epochal. Wer jedoch würde heutzuDraistage mit solchem Laufrad an einer Tour de France teilnehmen? (Vielleicht noch der nach Selbsteinschätzung größte US-Präsident forever. Wahrscheinlich würden sämtliche Konkurrenten durch US-Sanktionen ausgeschlossen – America first!) Heute taugt das Laufrad nur noch als Lernspielzeug für Kinder. Seine Erfindung aber öffnete einst das Tor in eine ressourcenschonende Mobilität. Die fahrrad-freundliche Stadt Bocholt kann davon ihr eigenes, gutes Lied singen.

Die Republik der Neuzeit hat die Tür zur Demokratie aufgeschlossen. Die begnügt sich heute nicht mehr mit der Legitimation demoautärer Regierungseliten.  Moderne Demokratie zielt auf demokratische Entscheidungen. Also auf das Gemeinwesen bindende Regelungen, die von der Mehrheit der Betroffenen beraten, legitimiert und akzeptiert werden.

Solcher Paradigmenwechsel verlangt eine neue Entscheidungskultur. Eine 20130523_110842Kultur, in der der Machtkampf um die Entscheidungsmehrheit abgelöst wird von der kooperativen Suche nach wirklich mehrheitsfähigen Lösungen.

Eine neue Kultur entsteht nicht am Reißbrett. Sie braucht Impulse und Erfahrungen, deren bewußte Reflexion nach und nach neue Strukturen formt. Das von den Systemanalytikern Siegfried Schrotta und Erich Visotschnig entwickelte Systemische Konsensieren (SK-Prinzip) wie auch die vom Sozialphilosophen Johannes Heinrichs entwickelte Reflexionslogik sind starke Entwicklungs-Impulse zu moderner Demokratie.  Wohin das konsequente Aufgreifen dieser Impulse führen könnte, habe ich 2015 in „Nur mal angenommen… …Demokratie ginge anders“ skizziert. Vor wenigen Wochen erschien Visotschnigs Buch „Nicht über unsere Köpfe“. Ausführlich beschreibt er Anwendungsmöglichkeiten des SK-Prinzips und deren Auswirkungen im politischen Geschehen.

Die im SK-Prinzip verankerte neue Entscheidungskultur ist eine zwar unzureichende, dennoch notwendige Bedingung zu moderner Demokratie. Sie ermöglicht und den Diskurs weiterer Schritte, wie etwa Prof. Heinrichs Vorschlag eines parlamentarisches Vier-Kammer-Systems oder die Einführung einer monetativen Geldordnung.

Ein evolutionärer erster Schritt ist demnach die Konsensierte Entscheidungs-Empfehlung (KEE). Auch sie setzt auf die „Weisheit der Vielen“. Allerdings beläßt sie es nicht in der Sammlung von Ideen und Vorschlägen. Zu den Grundbedingungen der KEE zählt eine absolut offene Fragestellung. In Bocholt würde sie etwa lauten: „Was soll mit dem derzeit als Rathaus genutzten Gebäude geschehen? Wie soll es weiterhin genutzt werden? Soll es nicht mehr als Rathaus bleiben, welche Alternative für ein Rathaus sehen Sie?“

Im Prozess einer KEE ist jeder Vorschlag öffentlich einsehbar. Argumente zu Vor- und Nachteilen jedes einzelnen Vorschlags werden ebenfalls einsehbar registriert. Die Bürger bewerten in einer gesetzten Frist die eingebrachten Vorschläge nach dem Grad persönlicher Widerstände. Die Summe dieser Widerstandspunkte ergeben den Gesamtwiderstand zu einem Vorschlag. So entsteht im System eine Rangfolge der Vorschläge – die mit den geringsten Gesamtwiderständen finden die höchste Akzeptanz bei den Beteiligten. Die zeit- und ressourcenintensive Aufarbeitung der vielen Bürgervoten durch Arbeits- und Redaktionsgruppen entfällt. Die Entscheidungsträger in den Räten und Parlamenten können sich an dem orientieren, was ihnen die Bürger mit der „Weisheit der Vielen“ offerieren.

Jede Entscheidung erweist sich als Risiko, sogar als Dilemma. Sorgfältige Planungen, Folgeeinschätzungen und Expertisen eröffnen verschiedene Varianten gangbarer Wege. Zwischen ihnen ist zu wählen. Ob eine getroffene Entscheidung gut war, erweist sich erst in nicht kalkulierbarer Zukunft durch die Konsequenzen für die Betroffenen. Das SK-Prinzip verlagert die Bewertung der Entscheidung aus der Zukunft in die Gegenwart zurück. „Gut“ ist eine Entscheidung dann, wenn die Betroffenen entscheidend am Prozess beteiligt sind. Immerhin und immer tragen sie ja auch die Konsequenzen. So sichert das Systemische Konsensieren den Übergang vom republikanischen Untertan zum demokratischen Bürger.

Der vermeintlich immense Aufwand einer KEE kann unwilligen Politikern leider (?) nicht mehr als Gegenargument dienen, da haben die Entwickler des SK-Prinzips längst vorgesorgt. Mit www.konsensieren.eu steht ein funktionsfähiges Werkzeug zur Verfügung.

MKonsensieren -Muster

Muster-Konsensierung zu einem Reiseziel

Die neue Entscheidungskultur respektiert das „Nein“ und integriert es konstruktiv in den Entscheidungsprozess. Nicht „Sieg oder Niederlage“ stehen im Fokus des Prozesses, sondern die höchste gemeinsame Akzeptanz.

Mit Widerständen gegen dieses Verfahren der Bürgerbeteiligung ist natürlich zu rechnen. Dies vor allem seitens derer, die allzu gern Klientel- und Lobbypolitik dem Gemeinwohl vorziehen. Für sie bilden Konsensierungsprozesse ein starkes Hemmnis. Konzepte wie die Hartz-Gesetze, die Maut, die Privatisierung öffentlicher Infrastruktur oder die armutsfördernde Steuerpolitik fänden wohl keine ausreichende Akzeptanz der Bürger.

Politiker aber, die sich wirklich als Volksvertreter verstehen und sich am Gemeinsinn ausrichten, haben mit der KEE endlich Chancen auf gute Resonanzen und Rückendeckung der Wähler.

 

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