Politische Kultur schützen

„Das sollten Sie unbedingt in Berlin vorstellen!“, strahlte der kommunale Parteivorsitzende. Er hatte mich gebeten, als Moderator an einem Bürger-Beteiligungs-Projekt mitzuwirken. Dazu hatte ich ihm das von mir bevorzugte Systemische Konsensieren (SK-Prinzip) skizziert. Damit ist es möglich, vielfältige, auch widersprechende Lösungskonzepte aus unterschiedlichen Interessen zu einer breit akzeptierten Entscheidungs-Empfehlung zu führen. Transparent, ohne Machtgebaren und politische Erpressung finden die Teilnehmer den Weg zu nachhaltig tragender Entscheidung.

Mehrfach habe ich in meinen Büchern wie auch hier im Blog für das Systemische Konsensieren geworben. In Seminaren und Klausurtagungen nehmen die Teilnehmer erstaunt wahr, wie einfach und zeitsparend eine Ideenvielfalt strukturiert und zur Entscheidung geführt werden kann.

So völlig anders als die in diesen Tagen inszenierte bayrische Schmierenkomödie der Unions-Parteien, welches die Republik erschüttert und nachhaltig beschädigt.

CSU-Erpressung beschädigt die Republik

Nun hat sich der Pulverrauch des Asylstreits gelichtet. Die verfeindeten Unions-Schwestern verbuchen jeweils für sich den Sieg im Kompromiss. Die Kanzlerin kann weitermerkeln, Seehofer wird als Bundesinnenminister seine Heimatschutz-Phantasien weitertreiben. Die Erpressung der großen durch die kleine Schwester wurde geschickt auf die lädierte SPD umgeleitet. Jetzt soll sie die Kompromisskröte schlucken, damit die GroKo nicht zerfällt.

Da kann man sich also richtig aufregen – oder nüchtern die dahinter stehende Systematik und Problematik betrachten.

Es sei um Asylpolitik gegangen, sollen wir glauben. Doch der Egomanentruppe der Christsozialen (!?) geht es um den Behauptungskampf im bundesdeutschen 7-Zwerge-Parlament. Längst vorbei ist die Zeit großer Volksparteien, als eine Kleinpartei „Königsmacher“ war und sich überproportionale Macht sicherte. Die FDP hatte über Jahrzehnte diese Rolle des “Zünglein an der Waage”  inne. Eine Rolle, die immer das Potential politischer Erpressung birgt .

Sitze im dt BTNun tummeln sich sieben Parteien in der Machtarena des deutschen Bundestages, die CSU auf Rang 7. Ihre Eigenart als bayrische Regionalpartei gibt ihr zwar einen Sonderstatus im Parteiengefüge, doch nur im Bündnis mit der bundesweiten Schwester. Verhielte sich die CSU koalitionsbrav, verlöre sie schnell eigenes Profil. Welche Wirkungen das hat, kann sie gut an der SPD ablesen.

Also suchte sich die CSU ein zur eigenen Machtbehauptung geeignetes Streitthema und willkürte die Migrationsfrage dazu. Der Wettbewerb mit den Rechtspopulisten der AfD ist im Vorfeld der bayrischen Landtagswahl eine willkommene Zutat. Eine deftige Prise „Schwanzlängenvergleich“ zwischen den in Haßliebe verbundenen Matadoren Söder und Seehofer peppten das bajuwarische Schmankerl auf und machten es politisch völlig ungenießbar. Aber das Schmankerl wurde uns aufgetischt: “Macht erreichen und behalten” steht auf dem Speiseplan der Politik.

Weitere Erpressungen werden folgen und sie gab es auch schon – erinnern wir uns nur an das Maut-Debakel.

Erpressung gründet im parlamentarischen System

Parlamente werden als öffentliche Austragungsorte politischer Machtkämpfe angesehen. So will es die republikanische Tradition. In Rede und Gegenrede sollen Entscheidungen vorbereitet und getroffen werden, die das repräsentierte Gemeinwesen binden. Profilierung und Abgrenzung zu den politischen Gegnern überlagern immer wieder die Ansätze für Kooperationen. Um Mehrheiten für die eigenen Pläne zu gewinnen bedarf es zäher Verhandlungen, Feilschen um Kompromisse und strategischer Machtspiele.

Der Einzug der populistischen AfD in den deutschen Bundestag im Herbst 2017 brachte eine deutliche Verrohung des politischen Stils mit sich. Diese Verrohung blieb nicht bei den AfD-lern, sondern erfasste auch die traditionellen Parteien. „Ab Morgen kriegen sie in die Fresse!“ scherzte (?) Andrea Nahles am 27.09.2017 über ihre bisherigen Koalitionspartner.

 

Verrohung des politischen Stils senkt die Schamgrenze

Die AfD will die Kanzlerin vor sich hertreiben. Die FDP verweigerte nach langen Jamaika-Verhandlungen die politische Mitverantwortung. „Lieber nicht regieren als falsch regieren“, erklärte Christian Lindner zur Partei-Maxime. Die SPD hatte sich längst zur „Erneuerung in der Opposition“ entschlossen, um sich dann doch mühsam und widerwillig auf eine erneute Koalition mit der Union einzulassen. Während die CDU um ihr konservatives Profil ringt, trumpft die CSU mit „konservativer Revolution“ und bajuwarischem „Mir san mir“ auf.

Gemeinsam senken sie die Schamgrenze politischer Debatten- und Entscheidungskultur. Nach der AfD hat nun auch die CSU diese Schamgrenze deutlich unterlaufen. Von diesen Parteien ist wohl nicht zu erwarten, dass sie zurückfinden in einen Stil sachbezogener Auseinandersetzung oder gar gemeinwohlorientierter Kooperation.

Sicherung der Debatten- und Entscheidungskultur

Doch nur mal angenommen, das Präsidium des deutschen Bundestages und der Ältestenrat würden die Sicherung der Debatten- und Entscheidungskultur zu ihrem Anliegen machen. Sie legten Wert darauf, dass die populistischen Schmierenkomödien das “Hohe Haus” nicht zum Schmierentheater degradiert. Statt wirkungsloser Appelle änderten sie die Spielregeln und nähmen als Ergänzung der Arbeitsformen zur Entscheidungsvorbereitung die Konsensierte Entscheidungsempfehlung (KEE) in die Geschäftsordnung des Bundestages auf.

Jeweils 5 MdB, unabhängig von ihrer Fraktionszugehörigkeit, könnten den Antrag auf eine KEE stellen, der systemische Sprengsatz der Erpressung wäre entschärft. Parteien würden in kooperativem Verhalten ihr Profil nicht verlieren, sondern schärfen.

„Das sollten Sie unbedingt in Berlin vorstellen!“ – eine interessante Herausforderung. Mit dem systemischen Konsensieren kann man aber auch Zuhause gewinnen – überall! So läßt sich der Politikstil neu kultivieren, ausgerichtet auf Respekt und Wertschätzung!

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