Bürgerbeteiligung als Zwickmühle – Sie wollen gefragt werden (Teil 2/3)

Wenn man mich mal fragen würde…“sang der niederländische Liedermacher Robert Long 1979. Humorig vertonte er die Frustration der sich als ungefragte Untertanen erlebenden Bürger. Weit weniger humorig sind die ungezählten Beiträge in den modernen virtuellen Netzen, mit denen Bürger heute ihrem Frust als ungefragte Untertanen freien Lauf lassen. Wenn wütende Bürger auch knapp 30 Jahre nach der „deutschen Revolution“ skandieren „Wir sind das Volk!“, erheben sie den Anspruch „Nicht über unsere Köpfe!“. Sie wollen gefragt sein, wenn es um politische Entscheidungen geht, die ihr Leben und ihren Alltag beeinflussen.

Man muss kein Wutbürger, nicht einmal ein zorniger Bürger sein, um das „Nicht über unsere Köpfe!“ als berechtigt anzuerkennen. Da reicht es, Demokrat zu sein. Aber auch Demokraten schwillt schon mal der Kamm, wenn iBocholthr Anspruch auf Mitsprache abgebügelt wird mit Verweisen auf die Dynaxität (Komplexität potenziert mit Dynamik) politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Sachverhalte. Bei derartigen Verweisen klingt die Arroganz durch, das Volk sei dumm.

Nach und nach verändert sich das Bild. Die Ansprüche der Bürger, gefragt und gehört zu werden, finden immer häufiger Anklang bei Politikern und Verwaltungen. Vor allem kommunale Verwaltungen haben wachsendes Interesse an höherer Effizienz in Prozessen der Entscheidungsfindung und Umsetzung. Sie registrieren weniger Widerstand gegenüber ihren Maßnahmen, wurde den Bürgern zuvor ein Mitsprache-Forum eröffnet. Bürgerbefragungen sollen häufig vor allem „Dampf aus dem Kessel“ nehmen.

Darum behalten Räte und Verwaltungen sich vor, welche Vorhaben sie den Bürgern zur Beteiligung anbieten. Mal sind es Haushaltspläne, mal Nutzung öffentlicher Gebäude wie Schulen, Hallenbäder oder, wie in Bocholt, die Rathaus-Sanierung.

Für Bürgerbeteiligungen wurden in den erfahrenen Verwaltungen von Heidelberg, Münster und Graz musterhafte Kriterien herausgearbeitet. Demnach zeichnet „beteiligungsfähige Vorhaben“ aus:

  • es handelt sich um eine stadtbezogene Herausforderung,
  • die Entscheidung liegt in der Zuständigkeit der Stadt,
  • ein Budget ist vorhanden.

Unter solchen Bedingungen können die Bürger von ihrer Stadt eingeladen werden, im Rahmen bestehender Beschlüsse und Vorgaben Ideen für das konkrete Projekt einzureichen.

Die Sammlung der Ideen, deren Sichtung und eventuell daraus abzuleitende Empfehlungen liegen üblicherweise in der Hand einer Arbeits- bzw. Redaktionsgruppe.

Bauleute

Experten am Werk?

Beteiligungsverfahren und Bürgerdialoge sind nicht neu. Allzu oft lassen sich die dabei gemachten Erfahrungen auf den Nenner bringen: „Der Berg kreißte und gebar eine Maus.“ Wenn etwa die deutsche Bundesregierung auf diversen inszenierten Bürgerdialog-Veranstaltungen ca. 14.000 Vorschläge einsammelt, davon ganze 2 (in Worten: zwei) umsetzt, liefert sie wieder einmal eine Steilvorlage für die Zunft der Kabarettisten.

Die Erfahrung der Maus-Geburt wird auch von Tanja Aitamurto bestätigt. Frau Aitamurto ist Sozialwissenschaftlerin an der Stanford University in Kalifornien. Sie begleitete wissenschaftlich eine landesweite Bürgerbeteiligung in Finnland zur Einführung eines Gesetzes. Der „Enquete zur Demokratiereform“ des österreichischen Parlamentes berichtete sie 2015 als Erfahrung: das Projekt war „zeit- und ressourcenintensiv“. 340 Ideen und 2600 Kommentare waren zu sichten. „Die Frage ist, wie die Politiker die vielen Ideen in das Gesetz aufnehmen sollen. Es ist unmöglich alles umzusetzen.“ (Zitiert nach Siegfried Schrotta, Lebendige Demokratie, 2018, S. 51)

Immer wieder zeigt sich: Findet Beteiligungsverfahren mit offener Fragestellung Anklang bei den Bürgern, sind die Initiatoren mit der Resonanz zumeist überfordert. Reduziert man eine komplexe Themenstellung auf ein „JA / NEIN“-Votum, fühlen sich zu viele Bürger verschaukelt.

Zu Recht verwies Professor Liudger Dienel 2017 während einer Tagung zu „Lernender Demokratie“ auf den nachhaltigen Frust, den auch gute Anhörungsverfahren bei mangelnder Wirksamkeit auslösen. Sein Vater, Peter C. Dienel, hatte in den 1970er Jahren die Planungszelle als Beratungsverfahren zur Verbesserung von Planungsentscheidungen entwickelt.

Bürgerbeteiligung und moderne Demokratie stecken somit in einer Zwickmühle: Werden Bürger nach Vorschlägen und Meinungen befragt, jedoch an der weiteren Bearbeitung der Vorschläge unzureichend und an der Entscheidung überhaupt nicht beteiligt, wächst iheUnmut an der Demokratie. Dann kommt jene Stimmung auf, die Robert Long auch besang: „Feste Jungs, macht nur weiter so“.

Den Unmut an der Demokratie zu mindern, braucht mehr als eine Einladung zur Ideensammlung. Die Konsensierte Entscheidungs-Empfehlung (KEE) weist einen wirksamen Ausweg aus der Zwickmühle.

>>> Vom Unmut zur Demokratie  – Sie wollen gefragt werden (Teil 3/3)

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