Schon die Schulpsychologin DDr. Andrea Richter hatte in ihrem Vortrag am Vortag die schulischen Lernanforderungen an die Kinder als Pflichten bezeichnet und sie in das Spannungsfeld zu den Kinderrechten gestellt. Begründete Ansprüche von Lehrkräften und Eltern einerseits und Kindern und Jugendlichen andererseits treffen immer wieder aufeinander und prägen den pädagogischen Alltag. Dieser pädagogische Alltag erfährt seine Dynamik durch ständigen Wandel, Konfliktsituationen und Krisen, betonte der Pädagogikprofessor Dr. Dr. Fritz Oser, Fribourg (CH). Pädagogik sei als Pädagogik des Durchgangs höchst fragil. Die Unterrichtspraxis ähnele einer Emergency-room-class, einem erzieherischen Notfallzentrum, welches den Pädagogen maximales Managementkönnen und höchste Belastung abfordere.
In dieser fragilen Praxis schaffen die Kinderrechte der UN-Konvention einen unbedingten Schutz für das schwächste Glied der Gesellschaft – das Kind, betonte Oser. Als justiziable, einklagbare Rechte orientierten sie sich an der Abhängigkeit und eingeschränkten Autonomie der Kinder. Zugleich seien sie in ihrer normativen Abstraktion weit von der Lebenswirklichkeit der Kinder entfernt.
Die Kinderrechte ermöglichen die Bestrafung bei Vergehen gegen diese Rechte, das In-Obhut-Geben vernachlässigter Kinder, die gesetzliche Förderung guter Erziehungseinrichtungen, welche Anerkennung, Selbstbestimmung und Zugehörigkeit stärken. Die Rechte eines Kindes auf ein Tagebuch, eine geheime Freundschaft, auf eine eigenartige Sammelwut oder ein persönliches Gespräch mit Gott aber werden nach Oser nicht von der UN-Kinderrechtskonvention erfasst. Darum seien neue Kinderrechte als pädagogischer Schutz vor den Gefahren der heutigen Zeit notwendig. Neue Rechte, die das Wachstum des Kindes stützten, aus denen Normen und Werte entwickelt und erlernt würden. Rechte, die es ermöglichten, im pädagogischen Miteinander Sinn zu entwickeln, Disziplinprobleme zu lösen und die Einmischung der Eltern gut zu integrieren.
Sinnvolle Überlegungen, die Prof. Oser vorstellte. Sinnvoll, weil es darum geht, die weltweit gültigen Kinderrechte mit Leben zu füllen. Sie zu transformieren in den konkreten Raum, in die jeweilige Kultur zu ihrer Zeit.
Leider hat Prof. Fritz Oser diesen ethisch begründeten, pädagogisch-normativen Anforderungen den Titel „Kinderrechte“ verliehen. Indem er die begriffliche Trennschärfe aufhob, erwies er meines Erachtens den Kinderrechten einen Bärendienst. Warum bleibt der Titel „Kinderrecht“ nicht der rechtsverbindlichen Norm vorbehalten? So ließe sich klarer überprüfen, ob die gesetzliche Regelung ausreichend Raum, Schutz und Förderung bietet zur Entfaltung ethischer, psychologischer und pädagogischer Erkenntnisse über gelungene, kindgerechte Erziehungsprozesse. Die Aufhebung begrifflicher Trennschärfe zieht einen inflationären Ge- bzw. Missbrauch des Wortes „Kinderrecht“ nach sich und trägt dazu bei, die Essenz dieser Rechte im allgemeinen gesellschaftlichen Geschwurbel auflösen.
Solcherart Geschwurbel haben weder die Kinder, deren justiziable Rechte noch die ethisch begründeten Ansprüche verdient.
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