Von Partizipation und Pflichten

Es klingt gut, Kinder und Jugendliche teilhaben zu lassen an allen Entscheidungsprozessen, die ihre Lebenswelt betreffen. Ihnen Mitsprache einzuräumen und dieser ein hohes Gewicht in der Entscheidung zuzubilligen. In Schulen und Erziehungseinrichtungen sind die zur Teilhabe notwendigen Fähigkeiten der Kinder und Jugendlichen systematisch zu fördern. Selbstbestimmungsfähigkeit, Mitbestimmungsfähigkeit und Solidarisierungsfähigkeit gelten als Grundwerte gesellschaftlicher Partizipation.

Pädagogische Lernziele sind auf die Erfahrungswelt der Kinder umzuschreiben. Autonomie wird dann zu „Ich darf es“, Kompetenz zu „Ich kann es“, Zugehörigkeit zu „Ich gehöre dazu“.

Laut Professor Dr. Hannelore Reicher, Graz, kann so bereits der Kindergarten zur Kinderstube der Demokratie werden. Solche Demokratiepädagogik fördere das Heranwachsen künftiger Bürger und Politiker, die anstehende politische Probleme sinnvoll lösen könnten. Zugleich warnte sie davor, politische Probleme als pädagogische Probleme zu sehen. Jugendarbeitslosigkeit oder Kinderarmut seien nicht durch Pädagogik lösbar, sondern allein durch einschneidende politische und ökonomische Reformen.

„Wie steht es mit den Kinderpflichten?“ – fragte die Schulpsychologin DDr. Andrea Richter, St. Pölten. Sind Kinderrechte und Kinderpflichten zwei Seiten einer Medaille? Müssen sich die Heranwachsenden ihre Rechte erst verdienen, indem sie die ihnen zugewiesenen Pflichten erfüllen? Wie steht es mit den Rechten von Eltern, Erziehern und Lehrkräften – wie ist deren Verhältnis zu den Kinderrechten? Was eigentlich sind die Pflichten der Kinder in der Schule und in erzieherischen Prozessen?

Derartige Pflichten können laut Andrea Richter nur die im Erziehungsprozess als sinnvoll und werthaft benannten Erziehungsziele sein. So fällt Kindern bei der Einschulung ein massiver Pflichtenkatalog auf die Füße: Konzentration im Unterricht, disziplinierte Wortmeldung, Erfüllung der Lernaufgaben. Was Lehrern und Erziehern als Selbstverständlichkeit im pädagogischen Betrieb vorkommt, erfahren die Schulneulinge als Kulturschock. Wie eine Fremdsprache müssten die Kinder die Schulkultur erlernen, betonte Dr. Richter. Und diese Lernprozesse brauchen Zeit, Geduld und behutsame Förderung.

Kinderpflichten seien wie die Schuhe der Kinder. Nur nach und nach können sie in die verschiedenen Größen hineinwachsen und so in den Schuhen der Pflichten auf dem Boden der Kinderrechte gehen, laufen oder tanzen.

Mit lebensnahen Beispielen hatte Andrea Richter das Spannungsfeld von Rechten und Pflichten erläutert, den scheinbar berechtigten Lehrsatz „Wer Rechte hat, hat auch Pflichten“ für den Lebensraum der Schule dargestellt. Doch ist dieser Lehrsatz überhaupt richtig? „Rechte entstehen aus Pflichten“ – lehrte der Innsbrucker Moraltheologe Professor DDr. Johannes Kleinhappl (1893-1979). Danach hat derjenige, dem eine Pflicht auferlegt ist, ein Anrecht auf alles, was ihm die Erfüllung dieser Pflicht ermöglicht.

Haben Kinder also eine Pflicht zum Lernen, so entsteht daraus deren Recht auf individuelle, kindgerechte Lernpraxis. Sinnvolle und sinnenhafte Lernprozesse haben dem Kind die Möglichkeit zu sichern, seiner Pflicht nachzukommen.

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