Es scheint irrsinnig und hat doch seinen guten Sinn. Menschen gehen auf Abstand zueinander, um sich einander nicht zu gefährden. Der Virus Covit-19, allgemein Corona-Virus genannt, würde sonst weltweit zur tödlichen Gefahr. Noch ist dieser Virus nicht zu bremsen durch pharmazeutische Maßnahmen oder Impfungen. Allein Nicht-Pharmazeutische-Interventionen (NPI) helfen, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen.
Die politischen Krisenmanager ziehen die Reissleinen und verordnen den Bürgern strikte Quarantäne. Sie nennen es so social distancing. Doch nicht soziale Distanz ist nötig und gemeint, sondern physische Distanz der Menschen zueinander. Abstand halten, um dem Virus keine Übergriffe zu bieten.
Eine immense Herausforderung für uns Menschen, die wir auf soziale Kontakte und Nähe angelegt und angewiesen sind. Es ist eine wahrhaft radikale Wende in unserem Verhalten. Unnötige Hamsterkäufe belegen, in welche massenpsychologischen Verirrungen wir dabei bleiben können.
Traditionelle und angelernte Maßstäbe ver-rücken, es ist zum Verrücktwerden. Die ver-rückten Maßstäbe pandemischen Wohlverhaltens zeigen sich aber auch als Chancen neuen Sozialverhaltens.
Nachbarschaftshilfen bei Einkäufen, Kinderbetreuung und Grundversorgung; digitale Kontaktpflege, Webinare als Lernplattform – social media bekommen neue Chancen, soziale Medien und Kommunikationsmittel zu werden. Dass sich die Entschleunigung des gesellschaftlichen Lebens inzwischen in der Minderung klimatischer Belastungen auswirkt, mag uns die Quarantäne etwas leichter machen. Doch auch unter den aktuellen Bedingungen des Krisenmanagements bleibt der Mensch einem zoon politicon. Mit dem Begriff kennzeichnete einst der antike Philosoph Aristoteles die existenzielle Verwiesenheit des Menschen auf direkte soziale Kontakte.
Face to face lässt sich nicht einfach durch Facebook ersetzen. Je länger die physischen Kontakte untereinander eingeschränkt sind, verschärft sich die existenzielle und psychische Not der Abgeschotteten.
Derartige seelische Not fordert uns genauso heraus wie die Ansteckungsgefahr durch physischen Kontakt. Es ist richtig, Gruppenveranstaltungen, Versammlungen, Gremiensitzungen und gar Gottesdienste abzusagen, um dem Virus Übertragungsfelder zu nehmen.
Doch nur mal angenommen, wir würden Formen kultivieren, die notwendige physische Distanz mit gleichermaßen notwendigem sozialen Austausch kombinieren. Es bräuchte Räume, die ermöglichen, auf Abstand und doch Vis-a-vis miteinander ins Gespräch zu kommen. Talkshows in den Fernsehstudios machen es vor, die Gesprächspartner halten mindestens 2 m Abstand zueinander. In Kirchen des Erzbistums Freiburg werden Gottesdienste gefeiert mit begrenzter Teilnehmerzahl, die den physischen Abstand im Kirchenraum zulassen.
Denke ich an große, weite Räume, habe ich schnell Kirchen vor Augen. Gottesdienstversammlungen sind dort begründet verboten, zum persönlichen Gebet bleiben die Kirchen offen.
Muss ich denn nur leise und in mich gekehrt beten? Kann ich meine Gedanken nicht auch laut äußern? Was wäre, wenn andere, gleichzeitige Kirchenbesucher sich aus sicherer Entfernung zu meinen Gedanken äußern? Wenn sie sich praktisch in mein Gebet einschalten und wir im Dialog über Gott und die Welt miteinander beteten? Kann sich nicht auch ein Dritter, Vierter und x-ter Kirchenbesucher an diesem Gedankenaustausch beteiligen?
Wenn wir uns solch dialogisches Beten unter Wahrung notwendiger Hygiene und physikalischer Distanz gestatten, was kann uns hindern, solche Gebete um Gott und die Welt bewusst zu kultivieren? Was kann uns hindern, im betenden Vis-a-vis kreative Ideen für ein solidarisches Miteinander zu entwickeln? In Jesu Nachfolge könnten wir gemeinschaftlich auf die Idee kommen, karitative Essensausgaben aus der Enge bisheriger Räume in den weiten Raum der Kirche zu verlagern. Obdach- und Wohnungslose könnten in derzeit ungenutzten Kirchenräumen Schutz finden vor der Ansteckungsgefahr.
Gesundheitspolitische Verordnungen beschränken die Versammlungsfreiheit. Sie können zugleich unsere soziale Kreativität im Dienst leiblicher und geistlicher Barmherzigkeit beflügeln.
„Wo zwei oder drei in meinem Namen beisammen sind, bin ich mitten unter ihnen“ – den Zollstock zur Distanzmessung hätte der Zimmermann aus Nazareth zum Schutz der Menschen akzeptiert, anders als Kontaktsperren und Ausgehverbote. Er hätte sich wohl nicht verschanzt, sondern analoge, persönliche, statt digitaler Kontakte gepflegt, aus Respekt und Anstand, jedoch mit Abstand.
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