Rainer Forster (40), Diözesansekretär der Katholischen Arbeiterbewegung (KAB) im Erzbistum München und Freising hat den Mut, heiße Eisen anzufassen. Als ÖDP-Kreistagsabgeordneter im Landkreis Erding fehlt ihm dabei häufig die Rückendeckung seines eigenen Verbandes bzw. dessen Vorstand. Auf seine Einladung befinde ich mich nun auf einer neuen Demokratie-Pilgertour. Sie führt uns in die bayrischen Städte, für die Forster als KAB-Sekretär zuständig ist. In Dorfen, Erding, Landshut, Dachau, Fürstenfeldbruck, Mühldorf und Freising kombinieren wir den Aufruf zum bayrischen Volksbegehren gegen CETA mit Gesprächen um die Wünsche der Bürger nach Demokratie. Tagsüber steht die denk!BARmobil in den Fußgängerzonen der Städte, wir suchen und finden das Gespräch mit Passanten. Abends laden die regionalen Bildungswerke zu Vortrag und Gespräch ein.
Gesprächsthemen mit den Passanten gibt es zuhauf.
Katzenjammer in Großbritannien: Das Volksbegehren endete mit einem knappen Sieg der EU-Ausstiegswilligen. Die Führer der BREXIT-Bewegung wiegern sich, die von ihnen geforderte Politik nun zu realisieren. Sie ziehen sich aus der Verantwortung zurück – Demokratie als Chaos?
Chaos in der EU: Polit-Schlitzohr und EU-Kommissar Juncker wollte die BREXIT-Aufregung nutzen, das Freihandelsabkommen EU-Kanada (CETA) an den nationalen Parlamenten vorbei beschlußfrei zu praktizieren. Demokratie als Selbstermächtigung der Treuhänder?
Politische Entscheidungen betreffen und prägen die Lebenswirklichkeit der Millionen Bürger und Wähler. Sollen sie alles ungefragt hinnehmen? Dürfen sie zwar protestieren und Unterschriften sammeln, aber keineswegs mitwirken in Beratungen und Entscheidungen?
Die Demokratie der Neuzeit ist steckengeblieben im Entwicklungsstadium des „Demoautären“.
So hatte der Verfassungsrechtler Karl Löwenstein schon 1959 jene Regierungsform genannt, bei der die Wähler nur über die Auswahl der Parlamentsmitglieder entscheiden dürfen – per Urnengang.
Dieses Parlament wählt danach mit Mehrheit den Regierungschef, der darauf sein Kabinett beruft und mit diesem autoritär regiert, gestützt durch die Parlamentsmehrheit – ohne Rückkopplung an das Volk.
Die Bürger aber bilden sich eigene Meinungen, entwickeln eigene Lösungskonzepte zu den verschiedenen politischen Herausforderungen. Sie bringen sie über zivilgesellschaftliche Organisationen in die öffentliche Debatte. Und nun haben wir den Salat – die Regierungspolitik erweist sich immer häufiger im Widerspruch zum erklärten Willen des Volkes. In sinkender Wahlbeteiligung werden Rechentricks um die „relative Mehrheit“ genutzt, um den Anschein demokratischer Machtausübung zu wahren.
In den sich demokratisch rühmenden Ländern Europas und Amerikas lenken die Populisten den Unwillen der Wähler auf die eigenen demokratiefeindlichen Mühlen.
Doch nur mal angenommen, Demokratie ginge anders. Nur mal angenommen, wir würden die vielfachen Lösungskompetenzen der zahlreichen engagierten Bürger einbinden in politische Beratungen und Entscheidungen. Mandatsträger und verschiedene Demokratie-Theoretiker packt Entsetzen, ist doch der Wähler das wahrhaft störende Element.
Nach dem zweiten Tag kann ich eine erste Zwischenbilanz ziehen. Intensive Gespräche an der denk!BARmobil belegen die Sehnsucht nach weiterer Entwicklung der Demokratie. Wir erlebten die Sachkompetenz verschiedenener Gesprächspartner – aber auch die massive Kritik besorgter Bürger und deren Bereitschaft für völkisches Gedankengut.
Die in der demoautären Phase steckengebliebene Demokratie dringend die zeitgemäße Reflexion und eine reflexionslogische Weiterentwicklung. Jede unachtsame Verzögerung fördert Unwillen und Resignation breiter Wählerschichten zum demokratischen Ansatz und stärkt den Ruf nach starker Hand.
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