(aus NUR MAL ANGENOMMEN… …DEMOKRATIE GINGE ANDERS, S. 187 ff)
Hundert Menschen schärfen ihren Säbel, Tausende ihre Messer, aber Zehntausende lassen ihren Verstand ungeschärft, weil Sie ihn nicht üben. Johann Heinrich Pestalozzi
Erinnern wir uns: ein Dilemma ist per Definition eine Entscheidungssituation, für die es keine eindeutige Lösung gibt. Es ist also keine mathematische Aufgabe, bei der man sich vielleicht über den Rechenweg zur einzig richtigen Lösung streiten kann.
Mit Reflexionslogik, systemischer Betrachtung, bewusstem Wertediskurs und systemischem Konsensieren stehen allerdings gute Instrumente zur Verfügung. Diese Instrumente miteinander in Verbindung gebracht bilden eine Choreografie, Dilemmata sachlogisch und vernunftorientiert anzugehen und Entscheidungen mit hoher Akzeptanz zu erarbeiten.
- Was ist die Herausforderung, das Dilemma? Wozu wird eine Entscheidung verlangt? Wer ruft nach der Entscheidung?
- In welchem Wirkungsgefüge steht die Herausforderung? Was sind die Einflussfaktoren?
- Reflexionslogische Entwicklung einer Lösungsvariante (Schrittfolge nach Johannes Heinrichs)
3.1. Entscheidung über den gemeinsamen Wertansatz (unter Nutzung Potter-Box und Werte-Sixpack). Welche ethische Vereinbarung soll den Rahmen der weiteren Bearbeitung setzen? Vereinbarung konsensieren!
3.2. Zahlen, Daten, Fakten! Was wissen wir über die Situation, die Auslöser, die Interessenlagen? Woher können wir qualifizierte Informationen bekommen? Welche Konsequenzen hat die Werte-Entscheidung für den Stil der Kommunikation, für die kulturpolitischen Entscheidungen? Welche Rahmensetzung werden für die weiteren Schritte vereinbart – konsensiert?
3.3. Welche gültigen Regeln, Bestimmungen oder Gesetze sind zu beachten, anzuwenden? Sind neue Rgelen zu vereinbaren? Welche Konsequenzen haben die Entscheidungen zu Wertansatz und Kommunikation für strategische Entscheidungen und Rahmensetzungen? Welche Vereinbarungen zum Regelwerk werden konsensiert?
3.4. Welche materiellen, wirtschaftlichen Ressourcen werden benötigt? Welche sind vorhanden bzw. wie sind sie zu beschaffen? Welche Konsequenzen haben die bisherigen Rahmensetzungen auf Wirtschaftspolitik und aktives Wirtschaften? Welche wirtschaftsbezogenen Lösungsvorschläge werden konsensiert?
- Sozio-ökologische Überprüfung der einzelnen Lösungsvorschlags (nach Frederic Vester)
- In welche Rückkopplungen ist der erarbeitete Vorschlag eingebunden? Positive Rückkopplung bringt Dinge durch Selbstverstärkung zum Laufen. Negative Rückkopplung sorgt dann für Stabilität gegen Störungen und Grenzwertüberschreitungen.
- Ist die Systemfunktion unabhängig vom Wachstum? Läßt sich der Vorschlag realisieren, ohne ständig erhöhten Mitteleinsatz? Fördert die Lösung eine notwendige Balance?
- Ist die Lösung funktionsorientiert? Ist sie flexibel und anpassungsfähig bei Veränderung der Ausgangslage?
- Werden nach dem Jiu-Jitsu-Prinzip vorhandene Kräfte genutzt, statt nach Boxermethode gegen die Missstände zu kämpfen?
- Werden mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen? Lassen sich Produkte, Funktionen und Organisationsstrukturen mehrfach nutzen, wie lassen sie sich vernetzen?
- Lassen sich materielle Kreisprozesse nutzen? Können über Recycling Ausgangs- und Endprodukte verschmelzen? Werden Irreversibilitäten und Abhängigkeiten gemildert?
- Werden komplementäre Gegensätze durch Kopplung und Austausch symbiotisch genutzt?
- Entspricht die Lösung einem „biologischen Design“, greift sie auf Fertigkeiten, Fähigkeiten und Interessen der Betroffenen und Beteiligten zurück? Berücksichtigt sie in Verfahren und Organisationsformen dem Wesen der Menschen innewohnende Kompetenzen? Gibt es eine Resonanz-Planung mit der Umwelt? Ermöglicht sie die organische Integration neuer Einsichten und Elemente?
- Selbst nach solcher Vorarbeit zeigt sich, dass es je nach Blickwinkel, Interessenlage und Wertsetzung unterschiedliche Lösungen gibt. Dann ist zwischen den verschiedenen Lösungen zu entscheiden. Mit dem „Systemischen Konsensieren“ steht eine effektive Methode zur Verfügung, die Akzeptanz von Entscheidungsvarianten festzustellen.
Sie halten diese Choreografie für zu komplex und kompliziert? Leider verlangen komplexe Situationen und Herausforderungen nach mehr als einfachen Lösungen. Erinnern Sie sich noch an Ihre Zeit der Fahrschule? War es nicht ein hoch komplexer Lernvorgang, mit all den Pedalen, Hebeln, Schaltern, Gängen und Spiegeln klarzukommen – und das auch noch im fließenden Verkehr? Wie viel km haben Sie seither zurückgelegt, hoffentlich unfallfrei! Was einst wie eine Überforderung aussah, ist Ihnen längst in Fleisch und Blut übergegangen.
Ist Ihnen bewusst, dass noch vor knapp 100 Jahren ein Automobil als Teufelszeug galt? Der – zumindest nach traditioneller Auffassung – durch Gottes Gnade zu Weisheit und Herrschaft berufene Kaiser sah für dieses Teufelszeug keine Zukunft, niemals würden sie die Pferdefuhrwerke ablösen.
Durch die komplexe Lernsituation beim Führerscheinerwerb wurden Sie geleitet durch kompetente Fahrschulen und deren Fahrlehrer. Könnten nicht die Sozialverbände, Gewerkschaften, die Bildungswerke der zivilgesellschaftlichen Träger oder auch die Volkshochschulen deren Rolle übernehmen? Einer wirklich freien demokratischen Grundordnung (FDGO) käme das mit Sicherheit zugute. Die von mir entwickelten und in einem späteren Kapitel vorgestellten Bürgerwerkstätten sind als derartige „Fahrschulen“ konzipiert.
Während Sie zum Autofahren die Koordination aller Elemente von Beginn an üben mussten, ist bereits die Einübung und Nutzung eines Elementes dieser Choreografie wirksam und hilfreich. Dabei sollten wir aber nicht stehenbleiben. Zum Training dieser Methoden stehen ausreichend Themen zur Verfügung. Aus „kleinem“ Alltag wie aus „großer“ Politik werden ständig Themen und Fragestellungen nachgeliefert. Nebeneffekte solcher Trainingsrunden sind gemeinschaftlich erarbeitete Lösungskonzepte. Warum sollten sie nur als Denkübungen abgeheftet und archiviert werden, statt sie in den gesellschaftlichen Dialog einzubringen?
Sollte, was in schulischen Lernprozessen (VaKE) erfolgreich ist, unter dem Aspekt des lebenslangen Lernens nicht auch außerhalb der Schule wirksam sein?
Wenn die vorgestellte Choreografie in Gruppen und Großgruppen gemeinschaftliche Dilemmaentscheidungen mit hoher Akzeptanz ermöglicht, warum sollte sie nicht auf politische Entscheidungen Anwendung finden. In welchen methodischen Schritten sie ihre Position erarbeiten, können Gremien in Parteien und Parlamenten selbst entscheiden.
Natürlich wird repräsentative Vertretung komplizierter, nimmt man das Volk ernst als Souverän, in dessen Namen die politische Entscheidung zu treffen ist. Dann sind die Rahmenbedingungen und Strukturen zu überprüfen, die von der Meinungsbildung im Volk über die politische Willensbildung des Volkes zur demokratischen Entscheidung führen, die die Legitimation des daraus folgenden exekutiven Handelns sichert.
Solche Rahmensetzung können nicht nach Gutdünken erfolgen, soll sie demokratischen Ansprüchen genügen. Sie muss in der Wesensart des Menschen verankert sein, sich daraus entfalten und den kultivierten Freiheitskomponenten und Bürgerkompetenzen entsprechen.
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