Viermal hatte ich in den vergangenen zwei Jahren Gelegenheit, dem Ministerialrat a.D. und hannoverschen Wirtschaftsdezernenten a.D. Heinz Kruse live zuzuhören. Hinzuhören, wie er zu interessanten und hintergründigen Politikanalysen vortrug, was er seine Lösungsansätze nannte und wie er sie über den Verein “Verfassung vom Volk” (VvV) umsetzen will.
Jedes Mal blieb ich ratlos zurück: Nur mal angenommen, VvV hätte erfolgreich agiert. Das Grundgesetz wäre mit den wenigen vorgesehenen Änderungen zur deutschen Verfassung geworden: Wie sähe dann der Weg aus von der allgemeinen Meinungsbildung im Volk über die politische Willensbildung des Volkes zum demokratisch legitimierten Regierungshandeln und dessen demokratischer Kontrolle? Wie ändern sich nun die Möglichkeiten zu mehr solidarisch orientierter und demokratisch legitimierter Politik?
Die Videoaufzeichnung des Vortrags vom 12. Februar 2016 im Haus der Demokratie und Menschenrechte, Berlin, bietet die Chance, das sonst flüchtige Wort wiederholt zu hören und auf sein Gehalt zu prüfen.
https://www.youtube.com/watch?v=rfoZlGUZBoU
Einen ganzen Tag habe ich damit verbracht, Ansätze konstruktiver Lösungen im Video aufzuspüren. Von Heinz Kruse eingebrachte Stichworte wie „Wo liegt unsere Lösung? (18:00 Min. der Aufzeichnung)“, „Perspektive (27:00 u.1:03:00 Min)“, „Strategie/Organisation (32:00 u. 1:05:00 Min)“, „Konzept (37:00 Min)“ oder „Chancen (43:00 Min)“ habe ich immer wieder aufgerufen, um den darin verborgenen Lösungsweg zu erkennen.
(18:52) „Wo also liegt unsere Lösung? Unsere Lösung ist ganz einfach und simpel. Sie hat eine Grundidee, nämlich, den Zentralnerv der Politik zu treffen. Parteien sind Machtapparate, also stellen wir doch ihre Macht infrage. Wir stellen einen Geltungsanspruch. Wir erheben einen Geltungsanspruch: wir sind der Souverän und was in der Verfassung steht, bestimmen wir. Und das ist unser Ansatz, ganz einfach, ganz simpel gedacht. Wir wollen, dass wir in einer Volksabstimmung eine Verfassung annehmen.”
(23:24) „Aber inzwischen wächst das Bewusstsein, das ich auf ganz simple Sätze bringen will: Es reicht. So kann es nicht weitergehen. Irgendwas muss geschehen. Also das Bewusstsein, dass es so nicht weitergehen kann, wächst schon. Und diejenigen, die Sie die Erfahrungen in der DDR gemacht haben, wissen, dass, wenn ein Stein erst mal ins Rollen kommt, dann mag er noch so klein sein wie ein winzig kleiner Schneeball, irgendwann wird‘s eine Lawine. Zumal es ja nicht besser wird. Zumal die Fahrt in den Abgrund immer dichter wird. Und da wollen wir die Menschen abholen.“
(26:59) „Wir suchen den kleinsten gemeinsamen Nenner. Wir suchen den Nenner, der für die größtmögliche Zahl von Menschen möglich ist. Und wir bieten ihnen die Perspektive zu sagen: wenn wir diesen ersten Schritt, den Türöffner, geschafft haben, dann folgen weitere Schritte.“
Am Ende dieser Arbeit frage ich mich: Kann, soll, darf das schon alles sein?
Das Volk (die in Deutschland lebende Bevölkerung oder die deutschen Staatsbürger?) übernimmt die Herrschaft über das Grundgesetz als neue deutsche Verfassung mit Volksentscheid und Volksbefragung, um die Rechtsordnung dann „Stück für Stück“ (30. Min) zu bearbeiten. Wer interpretiert denn nun die vom Volk übernommene Verfassung und wie geschieht das? Wer hat im Rahmen der neuen Verfassung (also des alten Grundgesetzes) die Macht zur Regierungsbildung und zum Regierungshandeln? – „Gesetzesvorlagen werden beim Bundestage durch die Bundesregierung, aus der Mitte des Bundestages oder durch den Bundesrat eingebracht.“ So bestimmt es der Art. 76 (1) der dann neuen Verfassung (bisher GG).
Wie schön klingt eine „asymmetrische Gewaltenteilung“: „Wir als Beherrschte haben ein Instrument, die Herrschenden zu kontrollieren. Das steht in der Lösung drin, das ist unser Konzept.“ (31:30 Min.) Wie so etwas geschehen kann? Heinz Kruse macht es am Beispiel TTIP deutlich: „Dann sagen wir im Rahmen einer Volksentscheidung: Das wollen wir nicht!“
Also einfach nur: DAS WOLLEN WIR NICHT!? Ist das bereits ein politisches Reformkonzept? Ist es nicht mehr nötig, aufzuzeigen, wie in einem neuen System entwickelt und erreicht werden kann, was wir wollen?
Reicht es aus, zur Sanierung eines maroden Hauses die Tür zu öffnen (27. Min), weil „nur Türen öffnen entwickelt Kraft, Erfolge zu haben.“
Das marode, denkmalgeschützte Demokratiehaus
- auf seine Renovierungsfähigkeit zu prüfen mit Statikern, Architekten, diversen Baufachleuten,
- die Verfügungsrechte und deren Kontrolle neu zu regeln,
- mit Bewohnern und Eigentümern ein Nutzungskonzept für die Zeit nach der Renovierung zu entwerfen
– alles nicht mehr nötig?
Die Esoterik vom „Tür öffnen“ soll kompetente Denk-und Planungsarbeit ersetzen?
Heinz Kruse hat recht: seine Lösung ist einfach und simpel.
Seine blendende Analyserhetorik überlagert den faulen Therapieansatz. Er gleicht dem Arzt, der nach guter Diagnostik dem lungenkranken Patienten empfiehlt: „Husten Sie kräftig – danach atmen Sie in Zukunft tief und ruhig.“
Der Lösungsweg des VvV – ins MACHEN gehen – ist mir mehr als simpel.
Er ist banal, fatal banal. MACHEN ersetzt planen und strategisches Handeln. MACHEN ersetzt Denken, denn das dauert und braucht den Verstand.
Vielleicht scheint MACHEN vielen deshalb so faszinierend?
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