Wir hatten uns auf den Weg gemacht zu einer gemeinsamen Reise, die jeden tiefer ins eigene Ich führen sollte. Meine Wandererklause wurde so zur Wohngemeinschaft auf Zeit. Gestartet zur „Pilgerreise ins Ich“ sind wir in Münster, einer der Städte des Westfälischen Friedens und Regionalhauptstadt unserer gemeinsamen Heimat Münsterland.
Inhaltliches Leitmotiv dieser Pilgerreise waren die 33 Stufen zur Weisheit an der Kathedrale von Metz in Lothringen. In den als Bauhütten bezeichneten Zünften und Gemeinschaften der Baumeister, Architekten und Steinmetze hatten sich seit Menschengedenken und über verschiedene Kulturen hinweg Einsichten, Erkenntnisse und Lebensweisheiten in Symbolen verdichtet. Die Bedeutung dieser Symbole gaben die Bauleute nur in ihren Zirkeln und im Rahmen besonderer Initiation weiter.
Beim Bau der 1039 eingeweihten Kathedrale von Metz und Steinmetze 33 dieser Symbole als sprechende Steine zu einem Bilderbogen der „Stufen zur Weisheit“ zusammengefasst sie vertrauten darauf, dass ihr Geheimnis wissen nur den eingeweihten erkennbar wird, selbst wenn es vor aller Augen ausgebreitet wird. Bis heute haben sie damit Recht behalten Besucher der Kathedrale bestaunen (aus gutem Grund) die großen Steinfiguren der Heiligen, Apostel oder Bischöfe unbeachtet bleiben die Steine, die als Sockel dieser Figuren dienen. Auf Augenhöhe, jedermann sichtbar bilden diese Sockelsteine die Weisheitsschule der Bauleute. Der Pfeiler an den Eingangstoren des Jungfrauenportals ist nicht nur die Stütze zwischen den Eingangstüren. Seine Steine tragen die Bilder jener Hindernisse, die auf dem Weg zur Weisheit jederzeit auftauchen und zu überwinden sind.
In der gedanklichen Vorbereitung dieser Reise war mir aufgefallen, dass die Bauleute einer meines Erachtens unabdingbaren Eigenschaft der Weisheit keinen eigenen Raum gaben – den Humor. Darum besuchten wir zu Beginn unserer Reise die Nicolaikirche im niederrheinischen Kalkar. Die niederrheinischen Meister um Henrik Douverman (geboren vermutlich 1480 in Dinslaken; gestorben vermutlich 1543 in Kalkar) waren nicht nur exzellente und fromme Bildhauer, sondern auch Meister des Humors. Sollte die katholische Kirche einmal auf den Einfall kommen, dem Humor eine Patronatskirche zu weihen, käme Sankt Nicolai sicher in die engere Wahl.
Den Chorherren dieser Kirche wurde in sich gegenüberliegenden Armlehnen des Chorgestühls der ironische Spiegel vorgehalten. Dem Frömmler, der auf Anerkennung kreischend zur Seite schielt, blickt in gleicher frömmlerischer Gebetshaltung mit gefalteten Hufen ein Esel entgegen.
Der Priester, der aus der Sakristei in den Altarraum tritt und die Eröffnungsglocke zur Messe zieht, wird an die Mäßigung im Fressen und Saufen erinnert.
Selbst dem Gebietsherrn, dem Grafen von Kalkar wird durch die Po-Stütze unter seinem klappbaren Sitz Demut gelehrt. Sein „Faulenzer“ zeigt einen Affen auf den Pisspott.
Immer wieder tritt in dieser Kirche die Frohe Botschaft im Gewand des Humors auf. Da rümpft die mondäne Bürgermeisterin angewidert die Nase, wenn auf dem Rathausplatz zu Kalkar Lazarus aus dem Grab steigt. Bei den niederrheinischen Meistern wurden die Figuren der Bibel nicht zu schöngeistigen Wesen. Bürger und Bauern aus dem Umland der Stadt standen Modell für die handfesten Figuren in den verschiedenen Schnitzaltären.
Es tat gut, in Kalkar den Humor in den Filterbeutel zu packen, bevor wir uns den 33 Stufen zur Weisheit und ihren Anforderungen stellen.
Zu diesen Stufen werden wir uns in den kommenden Wochen Gedanken machen, sie austauschen und reflektieren. Gern sind sie eingeladen, uns auf dieser Pilgerreise gedanklich zu begleiten und sich zu den Bildern und Einträgen in diesem Blog ihre eigenen Gedanken zu machen.
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