Wie Chancen vertan werden

„Bewahrung der Schöpfung“, „Achtung vor der Natur“, „Schonung der Ressourcen“ – seit Jahren beliebte Themen für Fest- und Fensterreden, Sonntags- und Moralpredigten. Doch wenn es zur Nagelprobe kommt?
„Der Kölner Grüngürtel soll wieder geschlossen worden“, „Zivilgesellschaftliches Engagement stärken“, „Partizipation der Bürger ermöglichen“ – wegweisende politische Erklärungen und Beschlüsse. Doch wenn es zur Nagelprobe kommt?
Am Nagel bestehen nur stabile Konzepte aus festem Material. Sprechblasen und Testballons platzen und beweisen sich als Luftnummern. Eine Nagelprobe dieser misslingenden Arbeit findet in diesen Tagen am Kölner Eifelwall 5 statt.


In über 20 Jahren bot das Desinteresse kommunaler Liegenschaftsverwaltung an der Industriebrache der früheren Stadtentwässerungsbetriebe Grundlage zur Verwilderung, Verwahrlosung und Wertverfall des Geländes. Zugleich schuf es der Natur selbst Raum zu neuer unkultivierter Entfaltung. Biologische Triebkräfte, verbunden mit natürlichen Saatguttransporten ließen eine eigenartige und seltene Komposition von Büschen und Bäumen wachsen. In der Kölner Innenstadt dürfte kein zweites Ensemble dieser Art gewachsen sein.
In den zerfallenden Gebäuden siedelten sich Handwerker und Künstler mit Werkstätten und Ateliers an. Einige von ihnen kümmerten sich auch um die Geschenke der Natur, nutzten und genossen bei guter Witterung die neuen „Gärten“. Doch in diesem Jahr wird sich die Blütenpracht nicht mehr entfalten, die Ernte und Verarbeitung der Früchte fällt aus. Büsche und Bäume wurden gerodet, zerstört, geschreddert im Auftrag der Kölner Gebäudewirtschaft.

Im Schatten des Gestzes

Im Schatten des Gesetzes

Wie dessen Einsatzleiter Mückl erklärte, seien diese Rodungen notwendige Vorbereitung zur Vermessung des Geländes. Diese Vermessung diene zur Ausschreibung um den Architektenwettbewerb zum neuen Stadtarchiv. Dass ein späteres Baugelände zur Vermessung gerodet werden müsse, leuchtet selbst erfahrenen Vermessungstechnikern nicht ein.

Eher drängt sich der Verdacht auf, bestehende Geländeformationen sollten einer kartographischen Erfassung entzogen werden. Ernsthaften Überlegungen zur gestalterischen Einbeziehung der selbst naturierten Ensembles wird schon im Vorfeld entgegengearbeitet.

Die ersten Opfer des neuen Stadtarchivs

Die ersten Opfer des neuen Stadtarchivs

Demgemäß ist es auch aus der Interessenlage der Kölner Gebäudewirtschaft konsequent, denen bislang geduldeten Landschaftskünstler und Brachlandbewohner Rolf KeTaN Tepel vom Gelände zu vertreiben. Nicht weil er ein Gegner des beschlossenen Stadtarchivs sei – weit gefehlt. KeTaN sagt JA zum neuen Stadtarchiv an dieser Stelle. Doch hält er auch einen Bürgerdialog über Gestaltung und Ausgestaltung dieses “städtischen Erinnerns” für notwendig.
Gemeinsam mit Freunden und Mitgestaltern will er “Brachzeit als Bedenkzeit nutzen”. Kooperieren mit dem Projekt denk!BAR lädt er ein zum öffentlichen Nachdenken über soziales und kommunales Erinnern.
Sein ParaDies+Das soll sich wandeln zum “Campus der LebensKünste”. Unter freiem Himmel, ohne Förderansprüche an die gebeutelte Stadtkasse entsteht so ein Forum kulturell-kreativer Bürger, denen die (Mit-)Gestaltung ihrer Stadt am Herzen liegt. So wird der Paradigmenwechsel von einer Protestkultur zur Kultur verantworteter Mitgestaltung unterstützt.
Doch trifft die Fantasie kreativer Partizipation wie so häufig auf tief verankerte Ängste in Verwalterherzen.
Wer “Verwaltung” noch immer als Obrigkeit, als “Besatzungsmacht in der Gesellschaft” versteht, sollte von demokratischen Politikern und engagierter Zivilgesellschaft an die Kandare genommen worden.
Wer ein modernes, aufgeschlossenes Köln präsentieren will, sollte mutig den kreativen Dialog zulassen und führen. Freie Bürger werden es ihm danken.

Solche modellhaften Entwicklungen würden auch gut in die Geschichte dieser Stadt passen, dokumentiert und archiviert im neuen “Gedächtnis dieser Stadt”.

„Köln kann es“ – „Köln kann es besser“ – „Köln kann auch anders“ – im Kommunalwahlkampf 2009 überboten sich die konkurrierenden Parteien mit ihren Adaptionen des Obama-Slogans „Yes we can“.

Was wäre, wenn Köln auch anders täte? Wenn gute Möglichkeiten nicht nur erkannt, sondern auch benutzt und ausgeschöpft würden?

Wenn das Angebot kulturell-kreativer Bürger zur Nutzung städtischer Brachflächen für ein freies Forum offenen Dialoges angenommen würde? Ein Angebot, welches der Stadtkasse nichts kostet, sie sogar entlasten kann?

Köln kann? Ja – und Köln tut!
Doch wie Köln tut, was es kann beschämt die Bürger und gereicht der Stadt nicht zur Ehre.

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