An welchem „Menschen“ orientieren wir uns?

Steinfigur an der Kathedrale von Metz (F)

Steinfigur an der Kathedrale von Metz (F)

Der Mensch ist zu höchster Kompetenz fähig, zu höchster Einsicht und zu höchsten Leistungen. Der Schöpfergott erhob den Menschen zur Krone der Schöpfung, ernannte ihn zum Mitgestalter der Schöpfung. Großzügig begnadete er den Menschen und stattete ihn mit vielfältigen Talenten und Charismen aus. So erhob er den Menschen in den Gedanken des göttlichen Ebenbildes. Die Welt könnte noch heute ein Paradies sein, wäre der Mensch der göttlichen Idee treu geblieben. Doch die hoch begnadeten Menschen namens Adam und Eva wurden hochmütig. Ihr Bestreben, zu sein wie Gott, verletzte sündhaft die Regeln im Paradies. Zur Strafe wurden sie aus dem Paradies vertrieben. Seither müssen die Menschen mit dieser Schuld leben. Die Sünde, sich gegen Gott zu stellen, bleibt der durch alle Generationen vererbte Makel des Menschseins.

Diesem Makel kann der Mensch nicht aus eigener Kraft entkommen. In seiner prinzipiellen, ererbten Gebrochenheit bedarf er der Erlösung. Die grausame Hinrichtung des Jesus von Nazareth am Kreuz war die Erlösungstat, der Gottessohn nahm alle Schuld der Menschen auf sich. Das Geheimnis dieser Erlösung, dessen Wirkung und Entfaltung sind in die Hut der Kirche als personale Gemeinschaft gelegt. Gesichert und bewahrt durch die apostolische Tradition des Bischofsamtes und der besonderen Dienstfunktion des niederen Klerus am Volke Gottes.

Auf diesen Kern verdichtet sich das „christliche Menschenbild“, folgt man dem „Kurzen Versuch über das christliche Menschenbild“ des Passauer Bischofs Stefan Oster SDB. Bischof Oster schrieb seine Abhandlung 2013 für das „Leitlinienprojekt der katholischen Erwachsenenbildung in der Erzdiözese München und Freising“.

Da schimmert viel durch von der Ideenlehre des antiken Griechen Platon (um 427-347 v.Chr.), wenn der bischöfliche Philosoph Stefan Oster das Denkmodell des „christlichen Menschenbildes“ darlegt.

Am „christlichen Menschenbild“ orientieren sich traditionelle kirchliche Bildungswerke, Initiativen und Verbände wie die katholische Arbeitnehmerbewegung (KAB), der Kolpingverband, der Familienbund oder der Bund katholischer Unternehmer (BKU). Aber auch Politiker unterschiedlicher Couleur bis hin zu Parteien, die als christlich deklarieren, benennen dieses Menschenbild als ihren politischen Kompass. Dass dieser Kompass dabei auf Markierungen wie Freiheit, Verantwortung und Eigenverantwortung reduziert wird, bleibt dem politischen Interessen- und Machtwettbewerb geschuldet.

Wie kann der zur Weltverantwortung gerufene, doch prinzipiell gebrochene, sündhafte und erlösungsbedürftige Mensch den vielschichtigen Herausforderungen gegenwärtigen Lebens gerecht werden? Ist er damit nicht überfordert? Wie weit ist ihm die christliche Frohbotschaft eine existenzielle Hilfe zum guten Lebensvollzug?

Soziologischen Daten belegen den seit langem stattfindenden Auszug der Menschen aus den Kirchen. Mit dem, was sich in der Neuzeit als moderne Welt auftat, stand die Kirche lange auf dem Kriegsfuss. Wissenschaftliche Sachlichkeit oder demokratische Bestrebungen wurden als „Irrtümer“ verunglimpft. Priester und theologische Wissenschaftler wurden durch einen Antimodernismuseid zum Gehorsam der kirchenamtlichen Lehre verpflichtet.

Die Authentizitätskrise der Kirchen wurde durch den aufgedeckten langjährigen sexuellen Missbrauch Schutzbefohlener durch kirchliche Amtsträger als auch dessen Vertuschung durch diözesane Leitungskräfte nachhaltig verschärft.

Kirchliche Ideenlehre vom Menschen und kirchliche Praxis im Umgang mit den Menschen, auch mit den eigenen Mitarbeitern finden sich nicht im Einklang. Tradierte Ideen und Festlegungen bieten immer seltener echte Perspektiven zu menschenwürdiger Gestaltung sozialen und gesellschaftlichen Lebens in Gegenwart und Zukunft.

Dabei könnte die Erinnerung an Jesus von Nazareth, an seine Intentionen und seine Botschaft jeden Menschen ermutigen, sich seiner Lebenswirklichkeit zu stellen und sie schöpferisch lebensförderlich zu gestalten.

Nur einmal angenommen, wir sähen – wie Jesus – den Menschen nicht prinzipiell als sündhaft und erbschuldbeladen Gebrochenen an, sondern als entwicklungsfähiges, zur vollen Entfaltung gerufenes Kind Gottes. Wie Jesus erlösten wir Mitmenschen aus ihren Lebensängsten, Lähmungen und Blindheiten. Wir würden ihnen behutsam Augen öffnen, neue Zugänge zu eigenen Kräften aufzeigen oder neuen Lebensmut entfachen.

So gelebte Frohbotschaft macht göttliche Liebe erfahrbar. In jeder solcher Erfahrung ereignet sich Christentum als existenzielles Ereignis.. So wird Religion aktuelle Lebenshilfe zur gesamtmenschlichen Entfaltung aller Menschen zur und in der Vermenschlichung der Welt.

„Denket um!“ – forderte Jesus seine Zeitgenossen auf. Diese Aufforderung bleibt uns über die Zeiten erhalten.

Wir könnten uns weiterhin an einem in antiker griechischer Philosophie gründendes Idealbild des Menschen orientieren. So könnten wir auch jedem krummen Baum vorwerfen, dass er sündhaft nicht dem Idealbild „Baum“ entspricht. Wir können dieses antiquierte Leitbild aber auch dem Erinnerungsarchiv der Kirchengeschichte überlassen.

Statt dessen können wir jedem realen Menschen die evolutionäre Kraft zur gesamtmenschlichen Entfaltung zutrauen und zumuten. Das II. Vatikanische Konzil hat in der Pastoralkonstitution „GAUDIUM ET SPES“ dazu die Richtung gewiesen und vielfache Hilfen des Christentums zur Förderung dieser Entfaltung aufgezeigt. Christliche Politik würde sich nicht durch den programmatischen Rückgriff auf das tradierte Ideal ausweisen, sondern wie sehr sie zur Kultur „der Gesamtentfaltung der menschlichen Person, auf das Wohl der Gemeinschaft und auf das der ganzen menschlichen Gesellschaft“ (GES 59) beiträgt.

Wird es nicht Zeit, an dieses konziliare UMDENKEN endlich anzuknüpfen? Anknüpfen und weiterentwickeln um der Menschen willen zur Vermenschlichung der Welt! (GES 53ff)

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *