Homo Sapiens erfährt seine Grenzen

Die Corona-Pandemie stellt unser gesellschaftliches Wertesystem wieder auf die Füße. Der Homo Sapiens schwang sich auf zum Herrn und Herrscher über Natur und Biosphäre. Wissenschaftler sprechen seit einigen Jahren mal stolz, mal warnend vom Anthropozän. Gemeint ist damit, dass das Verhalten der Gattung Mensch für Zukunft und Existenz des Planeten Erde entscheidend geworden ist.

Nun kommt ein kronenartiges Virus daher und erzwingt drastisch unsere Einsicht, dass wir doch nur Teil von Natur und Biosphäre sind. So stehen wir am Scheideweg: Stellen wir uns weiterhin ein auf einen Kampf um die Beherrschung der Natur oder schließen wir Frieden, fügen uns in die angestammte Rolle der Kreatur. Die biblische Reflexion beschreibt uns als Teil, zugleich aber herausgehoben als Hirte und Hüter der Schöpfung.

Unsere über Jahrtausende kulturell gepflegte Illusion von der Herrschaft über die Schöpfung erfährt in diesen Tagen einen herben, tödlichen Dämpfer. Nur die radikale Änderung unseres Lebensstils kann die Menschheitskatastrophe abwenden. Quarantäne und staatlich verordnete Beschränkungen von Versammlungen, öffentlichen Veranstaltungen und Reisen wirken auf diese Verhaltensänderung hin. Physische Distanz der Menschen zueinander und eine konsequente Hygiene sind das Gebot der Stunde. Europäische Staaten und einzelne deutsche Städte verhängen Ausgehverbote, um Menschenansammlungen zu verhindern, die der Virus zu seiner Verbreitung nutzen kann. Dabei nehmen die Politiker und Krisenmanager die Einschränkung und Aussetzung anerkannter und verfassungsrechtlich geschützter Bürger– und Menschenrechte in Kauf. Kulturbetriebe, Schulen und Kindertagesstätten werden geschlossen, Veranstaltungen in Bildungseinrichtungen verboten, Gremien vertagen sich oder werden abgesagt, ganze Wirtschaftszweige werden gedrosselt und geraten an den Rand der Existenz.

Um der Erhaltung des Lebens und der Gesundheit willen nimmt die Mehrheit der Bevölkerung diese Einschränkung an und akzeptiert die häusliche Isolation. Moderne digitale Technik erlaubt uns, Kontakt mit der Außenwelt zu halten und “uns die Welt ins Haus“ zu holen. Auch wenn die auf der Welt verteilten Server unter der rasend ansteigenden Datenverarbeitung durch Stream Dienste im Internet ächzen und an die Grenzen der Kapazität kommen, bringen sie uns auch Nachrichten über positive Folgen der erzwungenen gesellschaftlichen Entschleunigung.

Satellitenbilder belegen den Rückgang des Smog über chinesische und italienische Industrieregionen und Ballungszentren. Die stinkende Brühe in Venedigs Kanälen regeneriert sich zur Wasserlandschaft, in der wieder Fische sichtbar werden. In der Lagune werden im klaren Wasser wieder Fischschwärme gesichtet. Delphine trauen sich in die stillgelegten Häfen Sardiniens.

Was seit Jahren in Umwelt- und Klimapolitik proklamiert, aber nie ernsthaft verfolgt wurde, holt sich die Natur in kurzer Zeit zurück. Diese Erfahrungen können unsere Visionen von einem naturverträglichen gesellschaftlichen Leben der Menschen beflügeln. Noch stehen uns Wochen, vielleicht Monate, des virusbedingten Ausnahmezustandes bevor. Wir können die Einschränkungen bejammern und beklagen. Wir können und dürfen sie auch zur gründlichen Reflexion und Neubesinnung unseres Lebens nach der Krise nutzen. Zur Reflexion über ein gesellschaftliches Leben als Teil der Natur, resilient im Umgang mit den aus der Natur erwachsenden Gefahren und Hirten der uns anvertrauten Schöpfung.

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