Corona – gelb-rote Karte für unseren Lebensstil

Alle Räder stehen still, die Event-Kultur implodiert, Sozialkontakte sind auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Staaten schliessen ihre Grenzen. Der Coronavirus-Monitor zeigt an, dass sich der neuartige Virus vor allem verbreitet in Ballungsgebieten, die vom hektischen Lebensstil westlicher Zivilisation geprägt sind. Dort wo „schneller, höher, weiter“ und „alles jederzeit sofort“ den Alltag prägen, wirkt der Virus schneller und intensiver auf die Menschen ein. Die Krisenmanager treten auf die Bremse. Um die Geschwindigkeit der Pandemie zu hemmen, drosseln sie die Geschwindigkeit des gesellschaftlichen Lebens. Von Kurzer Hand Grundrechte werden beschnitten oder gar aufgehoben. Mit plötzlich starker Hand wollen sonst zaudernde Politiker beweisen, dass sie den Ausnahmezustand souverän beherrschen. Willfährig fügen sich die Völker der Politik der starken Hand, lassen die ohnehin längst angeschlagene Demokratie weiter ins Abseits rutschen und üben sich beim Einkauf im Recht der Stärkeren.

Corona zeigt unserem modernen, räumlich wie ökologisch und ökonomisch entgrenztem Lebensstil die gelb-rote Karte. Die Natur, das Leben selbst legt Schwachstellen unserer Gesellschaft und des politisch-sozalen Lebens auf. Dabei zwingt es unseren Alltag zurück in längst überschrittene Grenzen. Auf der positiven Seite formen sich neue Arten nachbarschaftlicher Hilfen und dezentraler Infrastruktur sozialen Lebens.

„In dieser schweren Zeit müssen wir alle enger zusammenrücken“, empfiehlt Mirko Ristau, Sprecher der Krankenhausgesellschaft NRW. Beim Zusammenrücken sind nach Empfehlung der Krisenmanager bitte zwei Armlängen Abstand zu wahren.

Zusammenrücken bei geschlossenen Cafés, Kneipen, Kinos, Theatern, Sportarenen, Schulen, Kitas und Kirchen. Das klingt fast wie die Einladung des Europaparlamentariers und Satirikers Martin Sonneborn zur Menschenkette „Hand in Hand gegen Corona“. Martin Sonneborn ist allerdings ein bekennender Satiriker.

Wie sieht die Solidarität aus, mit der wir die Corona-Krise durchstehen? Mehrwöchige soziale Quarantäne für Schüler und Kita-Kinder? Ausgangssperre zur Verhinderung sozialer Kontakte wie in Italien oder Spanien? Gespräche nur noch per Skype oder Telefon?

Soziale Kontakte wandeln plötzlich von existenzieller Lebensbedingung zur Lebensgefahr. Die Angst vor der Pandemie ermöglicht Veränderungen der Lebensweise, die weit über das hinausgehen, was für ein ökologisch vernünftiges und verantwortungsvolles Leben seit Jahren angezeigt ist.

Werden wir den verordneten Stillstand gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Lebens nutzen und für unser zukünftiges Verhalten reflektieren? Leben wir demnächst bewusster und entschlossen entschleunigter, wenn der Stillstand beendet ist? Oder werfen wir sofort das Hamsterrad neu und mit erhöhtem Tempo an, um all das nachzuholen, was uns derzeit „entgeht“? Gelingt es uns, das “Must have” der Lebensgier neu zu kultivieren zur befriedigenden und ethisch vertretbaren Lebensfreude? Überlassen wir nach dem Ausnahmezustand der “starken Hand” weiterhin das Spiel oder bemühen wir uns aus der Reflexion der Ereignisse um eine tragtüchtige Demokratie, die auch in Krisenzeiten standhält?

“Unser politisches Handeln orientiert sich an den Kenntnissen und Erfahrungen der Wissenschaften“, erklärte die Physikerin und Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel. Gern hätte ich diesen Satz im Kontext von Klima- oder Friedenspolitik gehört.

Nur mal angenommen, Merkels Satz würde zum Leitsatz der Umsetzung der UN-Entwicklungsziele. Welche Aufbrüche wären möglich in Bildungs-, Sozial- und Wirtschaftspolitik? Aufbrüche, die beitragen und sichern, dass uns das Leben nicht auch noch die rote Karte zeigt.

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