„Mit 66 Jahren…“ – Wie humorvoll und treffsicher hatte doch Udo Jürgens die Pubertät des Alters besungen. Jene Zeit, in der man alt genug ist, es besser zu wissen, zugleich jung genug, es nochmal zu tun.
Zugleich ist es das Alter, in dem der Körper immer häufiger morgens flüstert: „Mach das nie wieder!“
Zu Jahresbeginn war dieses Flüstern überlaut geworden, hatte mir einige Tage Krankenhausaufenthalt beschert. Auch meine Wanderklause, die denk!BARmobil, benötigt inzwischen mehr Werkstattzeiten. Für das Leben im Wohnmobil, fürs Touren durch die deutschsprachigen Regionen Europas hatte ich 5-8 Jahre eingeplant. Nicht mehr im eigenen Haus mit 125 m² Wohnfläche, Garten und 2 Terrassen, sondern knappe 14 m² in der Wanderklause. Welchen Einfluss auf meine Lebensqualität würde dieser Wechsel des Lebensstils auslösen?
Die erste Zwischenbilanz nach 5 Jahren belegte den Gewinn an Lebensqualität. Er bestand und besteht wesentlich im Zugewinn ungewöhnlicher Alltagserfahrungen:
- die Selbstver- und Entsorgung von Wasser, Abwasser und Exkrementen.
- Energieversorgung mit bordeigenen Gas- und Solaranlagen
- im Winter heizen mit Kerzenöfen
- gelegentlich Strom aus den Stromsäulen an den Reisemobil-Stellplätzen
- mobiler Internetzugang in oft schwankender Netzstärke
- die dünne Fahrzeughülle sorgt für gering gefilterte Naturerfahrungen:
- Regen hat eine fantastische Klangweite
- Schneefall eine eigene Akustik
- Winde verschiedener Stärken schwingen das Wohnmobil
- hat das WoMo zur Winterzeit den Charme eines Kühlschranks, wandelt es sich an heißen Sommertagen zur rollenden Sauna.
Häufige Ortswechsel bereiten den Blick auf die unterschiedlichen Lebensräume. Hinter regionalen Eigenarten treten gleichartige und gemeinsame Grundansprüche hervor. Sie führten mich zu einem neuen Blick auf die Fragen nach Gemeinwohl und dessen demokratischer Gestaltung.
Hautnah erlebbar wurde mir die standardisierte Franchise-Konsumskultur. Wie oft hatte ich in Einkaufszentren das Bedürfnis, per GPS zu prüfen, in welcher Stadt ich eigentlich sei –McDonaldisierung allerorten.
Bei genauerem Hinsehen und -hören treten dann doch die spezifischen regionalen und ortstypischen Eigenarten in den Vordergrund und lassen mich immer neu staunen ob der fantastischen Vielfalt, die es wohl nicht nur in diesem Europa gibt.
5-8 Jahre, doch inzwischen bin ich im neunten Jahr des Reisens und 66. Da drängt sich die Frage nach den zukünftigen Wegen auf.
Soll ich weiter touren oder wieder sesshaft werden oder in den verschiedenen politisch-sozialen Themenparks der Bildungsträger meine Runden drehen und Punkte sammeln?
66 ist noch nicht das Alter des Entweder-Oder. Weil ich nichts mehr muss, ist mir Raum für ein lebendiges, wenn auch ruhigeres Sowohl-als-auch gegeben.
- Eine neue Wohnung in alter Heimat bietet Raum, um an weiteren Büchern zu arbeiten und Platz für den „Salon für Möglichkeitsdenker“. Gern lad´ ich mir Gäste ein – Freunde, Kollegen und mir noch unbekannte Mitbürger zum Gedankenaustausch über Gott und die Welt und das Engagement für Demokratie, die ihren Namen verdient.
- In der Zusammenarbeit mit Bildungsträgern mache ich mich mit der denk!BARmobil gern auf Reisen für Seminare und Vorträge.
- Die Teilnahme an Tagungen und Kongressen bietet mir Gelegenheit zu neuem Lernen und Kennenlernen.
Udo Jürgens hatte Unrecht. Das Leben fängt nicht mit 66 an. Aber es ist ein guter Zeitpunkt für Überprüfung und Kursanpassung.
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