2018/2019 Erinnerung und Aufbruch

Wieder mal ein Jahreswechsel. In der Summierung eigener Lebensjahre verschieben sich die Perspektiven: Zeiträume verdichten sich, die Abstände der Jahreswechsel scheinen immer kürzer. Eigene Erinnerungen und geschichtliches Wissen leisten solchem Perspektivverschub Vorschub. 2018 hatte in sich selbst genügend Anlässe zur persönlichen Freude und Dankbarkeit, aber auch zu Kopfschütteln und Haareraufen über Entwicklungen in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. Die politische Landkarte bezeugt weltweite Rückentwicklungen demokratischer Strukturen und Systeme. Einsichten über die Notwendigkeit ressourcenschonender Lebensführung werden in wirtschaftlichen und politischen Entscheidungsprozessen ausgeblendet. Der Vermögens- und Geldreichtum auf diesem Planeten wächst und wächst – doch nur für Wenige, die die Herrschaft auf diese Wertschöpfung beanspruchen und damit eigene Herrschaftsansprüche begründen. Sie stört nicht das ständige Wachstum von Lohnsklaverei und todbringender Verarmung. Solcher Irrsinn wird auch 2019 nicht enden, liegt doch dieser Irrsinn in der Logik vorherrschender Ideologien: „Wettbewerb“, „Profit“ und „Macht“ behaupten sich weiterhin als bestimmende Handlungsmotive und verdrängen „Solidarität“, „Gemeinwohlverantwortung“ und „Kooperation“.

Als Jahr geschichtlicher Erinnerungen zeigte 2018 zugleich den größeren Rahmen, einen Rahmen, der der Hoffnung Spielraum lässt. 1918 endete der furchtbare erste Weltkrieg, das deutsche Kaiserreich zerfiel. Europa, wie es vor Kriegsbeginn organisiert war, war in weiten Teilen zerschlagen und fand sich in neuer Staatenordnung wieder. Von Jugoslawien bis Finnland, von Irland bis Armenien entstanden neue Staaten. Monarchische Herrschaften gingen zugrunde, in den neuen Staaten nahmen sich die Bürger das Recht, ihre Herrschaft durch Wahlen selbst zu bestimmen. Völker Europas machten die Bestellung der Regierung zur öffentlichen Sache, zur res publica. Sie realisierten den Traum, der längst schwelte. Den Traum, der zur französischen Revolution führte, sich in den Vormärzrevolutionen neu entzündete und in der Paulskirchen-Verfassung seinen bislang stärksten Ausdruck fand – die Republik.

Dieser republikanische Aufbruch europäischer Völker erfuhr im Desaster von Faschismus und erneutem Weltkrieg eine derbe Zäsur – das Grundmuster „Republik“ jedoch hat diese Katastrophe überstanden.

Obwohl sich republikanische Parlamente und Regierungen aus den elitären Kreisen der Gesellschaft rekrutieren, den “Besten des Volkes” (US-Gründungsvater James Madison 1751- 1836), sollen sie doch vom Volk ihre zeitlich begrenzte Legitimation durch Wahl erhalten.

2019 werden wir uns daran erinnern können. Die Verfassung der ersten deutschen Republik, die Weimarer Reichsverfassung, hat dann eine 100jährige Geschichte. In Teilen ist sie heute noch gültig im deutschen Grundgesetz vom 23.Mai 1949. Dessen 70 Jahre sind ein guter Anlass, nachzudenken, wie weit wir es inzwischen auf dem Weg von einer Republik als Staatsform zur Kultur der Demokratie geschafft haben. Zu einer politischen Kultur, die den von den Entscheidungen betroffenen Bürgern Mitberatung, Mitentscheidung und Legitimationsrecht an den sie bindenen Beschlüssen sichert.

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